Donnerstag, 21. Juni 2012

Internet und Demokratie: Evgeny Morozovs Buch 'The Net Delusion'

Von Fiona Bradley, http://www.flickr.com/photos/blisspix/5372208409/sizes/o/in/photostream/, abgerufen am 21.06.2012


Evgeny Morozov wurde 1984 in Weissrussland geboren und kann somit zur Generation der Digital Natives gezählt werden. Heute forscht er an der Universität Stanford als Gastdozent und verfasst für diverse Zeitungen Artikel zur Bedeutung und Entwicklung des Internets in der Gesellschaft. Sein Buch The Net Delusion: How Not to Liberate the World aus dem vergangenen Jahr hat relativ viel Aufmerksamkeit erhalten und wurde sowohl mit Lob als auch Kritik bedacht.

In seinem Buch vertritt Morozov (2011, S. 93) die Ansicht, dass in westlichen Ländern dem Internet und Social Media für die Durchsetzung einer demokratischen Gesellschaftsordnung eine viel zu grosse Rolle zugesprochen wird. In der Regel werde davon ausgegangen, dass in einer globalisierten Welt alle Regierungen einen freien Kommunikations- und Informationsfluss zulassen müssen, wenn sie eine positive wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Land wollen. Nach dieser Auffassung kann sich eine autoritäre Regierung zwischen zwei Wegen entscheiden: Entweder sichert sie ihre Macht durch Zensur und ist in der Folge mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert oder sie verzichtet auf Zensur und verliert innerhalb kurzer Frist ihre Macht.

Nach Morozov ist diese Sichtweise schlicht naiv. Er vertritt die Auffassung, dass das Internet und Social Media von autoritären Regierungen genutzt werden können, um ihre Macht zu erhalten und die Bevölkerung zu überwachen, ohne dabei wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Dass diese Einsicht in westlichen Staaten fehlt, führt Morozov auf ein allzu einfaches Bild von autoritären Herrschern zurück: 
"Contrary to the usual Western stereotypes, modern dictators are not just a loose bunch of utterly confused loonies lounging around in their information-resistant bunkers, counting their riches, Scrooge McDuckstyle, and waiting to get deposed, oblivious to what is happening outside. Quite the opposite: They are usually active consumers and producers of informaton. In fact, finding ways to understand and gather information - especially about threats to the regime - is one invariable feature of authoritarian survival" (Morozov 2011, S. 90.91).
Morozov (2011, S. 96) kritisiert, dass westliche Regierungen zu lange davon ausgegangen sind, dass es nicht möglich sei, ausgefeilte Methoden zur Internetkontrolle zu entwickeln und den Zugang nur zu ganz bestimmten Internetangeboten zu kontrollieren, beispielsweise gezielt politische Seiten zu blockieren. Dies werde in Zukunft aber immer mehr der Fall sein:
"Governments have mastered the art of keyword-based filtering, thus gaining the ability to block websites based on the URLs and even the text of their pages. The next logical stage would be for governments to develop ways in which to restrict access to content based on concrete demographics and specific user behavior, figuring who exactly is trying to access what, for what possible reason, what else they have accessed in the previous two weeks, an so forth before making the decision whether to block or allow access to a given page" (Morozov 2011, S. 96-97). 
Nach Morozov (2011, S. 117) können das Internet und Social Media wie zum Beispiel Blogs autoritären Regierungen auch sehr nützlich sein. Sie geben die Möglichkeit, mehr über die politischen Gegner in Erfahrung zu bringen, indem das Surfverhalten und die verbreiteten Inhalte analysiert werden. Zugleich können sie auch als Mittel dienen, um Propaganda zu verbreiten und das Internet in ein "Spinternet" umzuwandeln. Morozov meint damit die Möglichkeit, dass Regierungen gezielt Informationen verbreiten, welche die Glaubwürdigkeit der veröffentlichten Inhalte in Frage stellen:
"In countries where even ardent supporters of democratization are often paranoid about foreign intervention, all it takes to discredit a blogger is to accuse her of being funded by the CIA, MI6, or Mossad (or, even better, all three simultaneously!). If that accusation is repeated by a hundred other bloggers - even if some of them look rather dubious - most sane critics of the government think twice before reposting that blogger's critical message. The best way to create such a culture of mistrust is for governments to cultivate extremely agile rapid-response blogging teams that fight fire with fire" (Morozov 2011, S. 122).
Man mag die Thesen von Morozov unterstützen oder kritisieren. Morozov hat aber einen weiteren Anstoss zur Auseinandersetzung mit dem Thema Zensur im Internet gegeben, die es erlaubt, neue Frage zu stellen und weiterzudenken. Sein Buch weist darauf hin, dass das Thema Zensur viel weitschichtiger ist, als man auf den ersten Blick vermuten könnte.

von ev


Quellen: 

Morozov, Evgeny (2011): The Net Delusion. How Not to Liberate the World. London. Allen Lane.













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