Freitag, 23. März 2012

Zensur im Internetzeitalter?

Die Informations- und Meinungsäusserungsfreiheit gilt als Grundvoraussetzung demokratischer Gesellschaften. Demokratie bedeutet Volksherrschaft. Um politische Entscheidungen mittragen zu können, müssen die Bürger in der Lage sein, eine eigene Meinung zu bilden. So ist in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten, dass "jede Person [...] das Recht auf freie Meinungsäusserung [hat]. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben".

Als Zensur hingegen kann ganz allgemein die "mit Machtmitteln versehene Kontrolle über menschliche Äusserungen" definiert werden (Becker 2010, S. 110). Diese kann nicht nur von staatlichen Instanzen, sondern von unterschiedlichen sozialen Gruppen ausgeübt werden. Es gibt verschiedene Formen der Zensur. So besteht sowohl die Möglichkeit der Vorzensur als auch der Nachzensur. Auch das Ausmass, indem die Zensur erfolgt, kann unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise können einzelne Textausschnitte oder Bilder zensuriert werden, aber auch ganze Publikationen oder Literaturgattungen. Im Weiteren kann die "Tätigkeit von Schriftstellern, Druckern, Verlegern und Buchhändlern" eingeschränkt oder verboten werden. Zensur heisst ausserdem, den Zugang zu Informationen zu beschränken. Das kann direkt erfolgen, indem z.B. Bücher vernichtet werden, oder indirekt, indem z.B. bestimmte Publikationen nicht in Verzeichnisse aufgenommen werden. Eine weitere Form der Zensur ist die Selbstzensur (Fischer 1999, S. 500).

Aufgrund seiner dezentralen Organisation gilt das Internet als ein "liberales, offenes und demokratisches Medium" (Winter 2010, S. 16). Durch das Aufkommen von Social Media haben sich die Möglichkeiten der Kommunikation und des Informationsaustausches zusätzlich vereinfacht. Das Besondere an ihnen ist, dass nicht so leicht zwischen Anbietern und Benutzern von Informationen unterschieden werden kann. Social Media erscheinen auf den ersten Blick weniger kontrollierbar als andere Medien, weil im Grunde genommen jede Person Inhalte abrufen, verändern und kommunizieren kann.

Bei der Eröffnung der CeBIT Anfang März äusserte der Verwaltungsratschef von Google, Eric Schmidt, die Ansicht, dass durch das Internet langfristig keine staatliche Zensur mehr möglich sei. Die Gesellschaft, insbesondere das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, werde sich dadurch verändern. Obwohl in den letzten zehn Jahren die Zahl jener Staaten massiv zugenommen hat, welche den Zugang zum Internet einschränken, nämlich von ursprünglich vier auf 40 Staaten, können laut Schmidt solche Zugangsbeschränkungen langfristig nicht durchgesetzt werden.

In der Literatur wird dieser optimistischen Einschätzung eher widersprochen. Winter (2010, S. 16) geht davon aus, dass die Zunahme von Zensur im Internet nichts Aussergewöhnliches ist. Wo die Möglichkeiten der Kontrolle und Überwachung vorhanden sind, werden diese auch gebraucht. In welchem Ausmass und in welcher Form Zensur ausgeübt wird, ist nach Winter (2010, S. 16) eher vom sozialen Kontext als vom Medium abhängig. Gerade auch Firmen wie Google können aus einem "rationalen ökonomischen Verhalten" heraus, einen  Beitrag zur Zensur leisten (Linde; Stock 2011, S. 163). So ist der Index von Google derzeit in China und Deutschland zensiert.

von ev


Quellen:
Becker, Jörg (2010): Information und Gesellschaft. Wien. Springer.
Ebersbach, Anja; Glaser, Markus; Heigl, Richard (2011): Social Web. Konstanz. UVK.
Fischer, Ernst (1999): Geschichte der Zensur. In: Leonhard, Joachim-Felix; Ludwig, Hans-Werner; Schwarze, Dietrich (Hg.): Medienwissenschaft: ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Teilbd. 1 (S. 500-513). Berlin. De Gruyter.
Linde, Frank; Stock, Wolfgang G. (2011):Informationsmarkt: Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen. München. Oldenbourg.
Winter, Rainer (2010): Widerstand im Netz : zur Herausbildung einer transnationalen Öffentlichkeit durch netzbasierte Kommunikation. Bielefeld. transcript.